Es war einmal ein fantastischer Held namens Herom. Er hatte eine wundervolle Frau, Gilda, zwei großartige Kinder, Rena und Higge, und dazu einen lustigen Hund, der allerlei Kunststückchen konnte und Knuffe hieß. Diese Familie führte ein perfektes und glückliches Leben. Sie lebten in einer Welt, die von Problemen völlig frei war. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch immer so. Und sie sind nicht gestorben. – Hallo, bist Du noch da oder hast Du schon abgeschaltet?
Was mehr gäbe es über diesen Helden und seine Familie zu erzählen, wenn es keine Probleme gibt? Willst Du mehr darüber hören, wie sie ihre alltäglichen Arbeiten verrichten und vor sich hinleben? Willst Du dabei sein, wenn die Kinder problemlos groß werden, später eigene Partner finden und selber Familien gründen? Sind Dir die Figuren schon ans Herz gewachsen? Ich habe mir gerade drei Neins abgeholt, kann das sein?
Es gibt zwar Ausnahmen von der Regel, aber eine Geschichte ohne Probleme ist für gewöhnlich sinnlos.
Na gut, wenn es sein muss – eins haben wir schließlich dabei nicht bedacht: Ein Held ist kein Held, wenn er keine Probleme löst. Herom war somit faktisch arbeitslos. Erst merkte er gar nichts davon, doch nach und nach spürte er eine stetig wachsende Unzufriedenheit, die schließlich zu einer ausgewachsenen Verzweiflung heranreifte wie eine giftiger Pilz.

Die Geburt des Problems ist die Geburt der Story
Eines Tages dann stieß er sanft mit einer älteren Dame zusammen, die gerade eine Packung Eier gekauft hatte und diese nun zu sich nach Hause trug. Die Eier fielen auf den Boden und zerbrachen.
“Oh, das tut mir leid”, rief Herom erschrocken, “ich hole Ihnen schnell neue Eier.”
Er beeilte sich, der Dame neue Eier zu besorgen und kam so schnell er konnte mit einer neuen Packung angelaufen. Überschwenglich bedankte sich die ältere Dame bei Herom und ging glücklich und zufrieden nach Hause.
Herom fühlte sich gut. Er hatte gerade ein Problem gelöst und spürte ein ihm bisher vollkommen unbekanntes Gefühl in sich aufwallen. Es war Bestimmung. Und Du kannst es Dir sicher vorstellen: Herom hatte Blut geleckt!
In den nächsten Tagen fing Herom an, öfter mit Leuten zusammenzustoßen. Es war ihm unangenehm, den Menschen Umstände zu machen – zudem noch absichtlich -, aber es fühlte sich so gut an, den Menschen anschließend zu helfen.
Doch es blieb nicht bei Zusammenstößen. Das Gefühl seiner Bestimmung – Probleme zu lösen – überwältigte den Helden. Herom begann, Gartenschläuche zu verstopfen, die Ventile von Fahrradreifen zu öffnen und Schlüssel zu verstecken. Sobald jemand das Problem bemerkte, war er zur Stelle, um es zu lösen.

Nur ein großes Problem ist ein gutes Problem
Schnell musste Herom die Dosis steigern, denn Fahrradreifen aufpumpen reichte ihm schnell nicht mehr. Die Sabotagen, die er beging, um die daraus entstehenden Probleme lösen zu können, wurden schnell immer schlimmer.
Schließlich brach er bei seinen Nachbarn ein, während diese im Urlaub waren und sabotierte ihren Sicherungskasten. Unglücklicherweise brannte das Haus daraufhin ab. Die Nachbarn kamen wieder und fanden nur noch eine Ruine vor. Dieses Problem war nicht so schnell zu lösen. Herom war zutiefst bestürzt. Zu seinem Entsetzen spürte er, dass er nicht bereit war, öffentlich die Verantwortung für diese Katastrophe zu übernehmen. Sehr unheldenhaft!
Er stürzte ins Badezimmer und schaute in den Spiegel. Was er dort sah, schockierte ihn endgültig und ließ ihn vollkommen die Fassung verlieren. Das war nicht mehr er! Er schlug den Spiegel kaputt und brach zusammen. Herom ekelte sich vor sich selbst. Er wusste nicht, was er nun noch tun sollte.
Ja, so lieben wir das. Endlich ein richtiges Problem! Und es hat sich gesteigert und gesteigert, hat Spannungsmoment bis zur Spitze aufgebaut, bis zur größt anzunehmenden Katastrophe.
Aber Moment, es geht ja noch etwas schlimmer: Herom nimmt sich eine Spiegelscherbe und setzt sie an sein Handgelenk. Das Ganze musste ein Ende haben. Hier und jetzt!
Wollen wir das? Nein, so bitte nicht.

Warum wir das Problem tatsächlich brauchen
Hier offenbart sich das Warum des Problems: Es geht uns um die Lösung! Wir wollen ein Problem nicht um seiner selbst willen, wir wollen das Problem seiner Lösung wegen. Und je größer das Problem, umso wertvoller die Lösung. Eine schier unüberwindbare Situation, selbst für einen Berufshelden – das ist ein wahrer Schatz. Und dazu ein Held, der uns jetzt sympathisch ist, weil er bewiesen hat, dass er doch fehlbar ist und Schwächen hat, wie wir. Der eigentlich ein netter Typ ist, wie wir. Und weil wir uns mit dem Menschen identifizieren können, der das Problem hat, wollen wir jetzt auch die Lösung wissen.
Das ist einer der Gründe für Geschichten. Sie sind Mustervorlagen für Problemlösungen. Paradebeispiele hierfür sind die Bücher der verschiedenen Religionen. Sie alle wollen uns durch Geschichten vermitteln, wie wir unser Leben zu führen haben und dabei die Probleme des Alltags bewältigen können.
Und da wir uns täglich mit Problemen konfrontiert sehen, wissen wir intuitiv um die Bereicherung von Problemlösungsbeschreibungen. Unser Gehirn ist darauf ausgelegt, Geschichten als solche zu identifizieren. Das ist eine Überlebensstrategie. Denn gut erzählte Geschichten sprechen das ganze Gehirn an und lassen sich daher viel besser merken als trockene Zahlen, Daten und Fakten, welche nur einen Teilbereich der linken Gehirnhälfte in Anspruch nehmen.
Eine Geschichte, die keine Lösung präsentiert, weil es überhaupt kein Problem gibt, ist damit vollkommen sinnlos für uns. Ausnahmen gibt es aber durchaus: Gedichte und mit wenigen Worten gemalte Bilder, die uns rein ihrer Schönheit oder ihres Unterhaltungswertes wegen gute Gefühle verschaffen. Sie sind der Schmuck unter den Geschichten; der Luxus, den wir uns leisten, wenn der Säbelzahntiger schläft und die Speisekammer gut gefüllt ist.

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Die üblichen Verdächtigen
Geschichten haben traditionell bestimmte Muster. Damit ein Problem die gebührende Wichtigkeit erhält, wird es auf die Spitze getrieben. Oft so weit, dass der Held (bzw. der angehende Held) übermenschliche Kräfte aufbringen muss, um das Problem zu lösen. Und manchmal sogar so weit, dass es ihm alleine einfach vollkommen unmöglich ist, das Problem zu lösen. Dann braucht es die Rolle eines Mentors; eine Figur, die dem Charakter die notwendigen Hinweise, Inspirationen oder Motivationen vermitteln kann, um das Problem doch noch lösen zu können. Beispiele für Mentoren sind zum Beispiel Obi-Wan Kenobi wie auch Yoda aus Star Wars, Morpheus aus Matrix oder für Indiana Jones das Tagebuch seines Vaters – denn auch Gegenstände können die Rolle des Mentors einnehmen. Im Business Storytelling kann dies auch das Produkt oder die Dienstleistung Deines Unternehmens sein.
Plötzlich wurde die Tür aufgestoßen. Vor Schreck fiel Herom die Spiegelscherbe aus der Hand. Und mit einem Mal hielt er Knuffe in den Händen, seinen treuen Hund, der sich über alles freute, ihn zu sehen. Herom versuchte, die freudige Begrüßung seines Hundes abzuwehren, konnte er sich selbst doch gerade nicht in die Augen schauen. Seine Verfehlungen konnte er sich selber nicht verzeihen. Doch Knuffe liebte ihn bedingungslos, und zeigte ihm das auch. Mit all seiner Liebe erreichte er Heroms Herz.

Die Lösung des Problems
“Ich habe meine Bestimmung verfehlt”, gestand Herom sich ein, “doch ich werde nicht eher ruhen, bis ich ein Held bin, auf den meine Familie stolz sein kann. Danke, Knuffe. Du hast mir gezeigt, was bedingungslose Liebe ist. Nun bin ich dran, meine Liebe zu verwirklichen.”
Es klingelte an der Tür. Herom hatte Angst. Er fürchtete die Konsequenzen seines Handelns. Doch er war bereit, für alles einzustehen. Er öffnete die Tür. Seine Nachbarn standen vor ihm.
“Unser Haus ist abgebrannt”, teilten sie ihm mit. “Können wir eine Weile bei Euch wohnen, bis wir ein neues Heim gefunden haben?”
Herom schluckte und nickte. Seine Nachbarn waren glücklich und bedankten sich überschwenglich bei ihm.
“Aber zuerst muss ich Euch etwas gestehen”, stöhnte Herom kleinlaut. Der Dank seiner Nachbarn brachte ihm nicht den Kick, den er bisher immer erhalten hatte, wenn er ein Problem für jemanden löste, das er vorher selbst verursacht hatte. Traurig schaute er seinen Nachbarn in die Augen.
Wenige Augenblicke später lagen sich alle in den Armen. Gilda kam dazu, und Rena und Higge. Knuffe sprang um alle herum und freute sich.
Abspann
Ich würde das Ende weiter ausschmücken, denn die Geschichte hat es verdient. Doch die Kamera zoomt davon und hinterlässt uns mit der Gewissheit, dass Herom seine Lektion gelernt und seine eigenen Probleme in den Griff bekommen hat.
Moment – was fliegt dort an der Kamera vorbei?
Es ist Herom. Weil er seine Probleme gelöst und überwunden hat, ist er zum Superhelden geworden und kann jetzt fliegen.
Und natürlich hat die Geschichte eine Moral, also etwas, das wir aus der Handlung lernen können. Das gehört zum Muster einer guten Geschichte. Stelle Dich deinen Problemen, denn daran wächst Du.
Und auch als Storyteller hast Du nun gelernt, dass Probleme deine Freunde sind.
Viel Spaß mit Deiner nächsten Story!

1 Antwort auf „Des Storytellers bester Freund: das Problem“
Vielen Dank für diese Story! Sie ist sehr lehrreich, nun mal gucken was ich daraus lernen kann!!